Dein Pferd im Fokus: Aufmerksamkeit und Achtsamkeit aus Pferdesicht
Im Blogartikel “Achtsamkeit im Pferdetraining: So gestaltest du dein Verhalten und den Umgang mit deinem Pferd bewusster (und festigst eure Beziehung)” haben wir achtsames Handeln bei Pferdebesitzern – also bei dir – beleuchtet und welche Auswirkungen dies auf dich und die Beziehung zu deinem Pferd hat. In dem heutigen Beitrag tauchen wir in die Sichtweise deines Pferdes ein. Du erfährst, wie Aufmerksamkeit und Konzentration beim Pferd funktioniert, was im Pferdehirn passiert, wie du die Aufmerksamkeitsspanne deines Pferdes verbessern kannst und was das alles mit Achtsamkeit zu tun hat.
Lass uns gemeinsam ergründen, wie du den Fokus deines Pferdes gewinnen und eure Beziehung stärken kannst.
Neurowissenschaftliche Grundlagen: Wie das Pferdehirn Aufmerksamkeit steuert
Vielleicht fragst du dich jetzt: „Braucht mein Pferd überhaupt Achtsamkeit? Ist es nicht von Natur aus im Hier und Jetzt?“
Tatsächlich denken Pferde nicht an gestern oder morgen und nehmen jede Kleinigkeit in ihrer Umgebung wahr und verurteilen dabei nichts – das ist Achtsamkeit. Ihr Gehirn ist jedoch eher auf Wachsamkeit ausgelegt, als auf fokussiertes Verweilen bei nur einem Reiz. Heißt: Pferde registrieren Veränderungen in ihrer Umgebung und wechseln teilweise in sekundenschnelle den Fokus, um die Situation auf Gefahren abzusuchen. 👀
Begründet ist das in ihrem natürlichen Überlebensinstinkt und dem Bedürfnis nach Sicherheit – lies dazu meinen Blogartikel über Sicherheit.
In der Praxis sieht das dann zum Beispiel so aus: du bist mit deinem Pferd auf dem Reitplatz und sein Blick schweift zu den Spaziergängern am Zaun, dem Traktor in der Ferne oder dem anderen Pferd auf der Wiese. Körperlich ist es bei dir, mental jedoch überall anders.
Im Gegensatz dazu sind wir Menschen weniger wachsam gegenüber jeder kleinen Veränderung, können aber dafür Ablenkungen besser ausblenden und uns länger auf eine Aufgabe konzentrieren. ⏳
Das bedeutet: Pferde und Menschen haben unterschiedliche Stärken in Sachen Aufmerksamkeit. Wenn wir diese Eigenschaften verstehen, können wir genau hier das Training ansetzen: Du kannst den natürlichen Reizfilter deines Pferdes so lenken, dass es seine Wahrnehmung kanalisiert – weg von hundert Außenreizen, hin zu seinem Körper, hin zu dir und der gemeinsamen Aufgabe.
Unterschied Menschenhirn – Pferdehirn
Ein wichtiger Unterschied liegt in der Gehirnstruktur🧠: wir Menschen haben einen stark entwickelten präfrontalen Cortex – die Region im Gehirn, die für Funktionen wie Planen, Organisieren und bewusste Konzentration verantwortlich ist. Diese Hirnregion verleiht uns Menschen die Fähigkeit, vorausschauend zu denken, bewusste Entscheidungen zu treffen und gezielt unsere Aufmerksamkeit zu steuern. Dadurch haben wir auch eine deutlich längere Aufmerksamkeitsspanne als Pferde. Unsere Gehirne sind förmlich auf Zielorientierung und Durchhaltevermögen programmiert. 🏁
Der präfrontale Cortex der Pferde hingegen ist deutlich weniger stark ausgeprägt. Sie haben also keine solch ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten. Ein Pferd kann nicht in unserem Sinne „Pläne schmieden“ oder abstrakte Ziele verfolgen.
Bei ihnen wird vorrangig die sogenannte Amygdala aktiviert. Ein Teil des Gehirns, der als “Alarmsystem” des Pferdes fungiert. 🚨
Wenn dein Pferd schnell abgelenkt ist, hat das also nichts mit Absicht zu tun – es ist schlicht biologisch darauf getrimmt.
Die Aufmerksamkeitsspanne des Pferdes
Wissenschaftliche Tests haben versucht, das zu messen. Das Ergebnis der Studie: eine einzelne Aufmerksamkeits-Sequenz der Pferde dauerte im Durchschnitt lediglich 3–4 Sekunden, bevor das Pferd den Kopf vom Reiz abwandte oder blinzelte und sich neu orientierte.
Ähnlich zeigte eine andere Untersuchung, dass die maximale kontinuierliche Konzentration eines Pferdes auf einen Trainer bei etwa 11–12 Sekunden lag. Danach schweiften die Gedanken des Pferdes wieder ab.🌬️💭
Diese Zahlen erscheinen sehr kurz – sie verdeutlichen aber, warum es bei diesem Thema immer wieder zu Herausforderungen zwischen dir und deinem Pferd kommt.
Die gute Nachricht: Konzentration ist trainierbar. Genau wie Menschen haben auch Pferde individuelle Unterschiede – einige können von Natur aus länger und ruhiger bei der Sache bleiben als andere. Aufmerksamkeit ist also ein Stück weit formbar.
Du kannst dir das wie Muskeltraining fürs Gehirn vorstellen. 🏋️
Genauso wie ein Muskel wächst, wenn man ihn regelmäßig nutzt und trainiert, verbessert sich die Konzentrationsfähigkeit und der “Entspannungsnerv” deines Pferdes, wenn du sie regelmäßig förderst. Wichtig ist die Balance: fördern, aber nicht überfordern.
Fokussierung ist auch durch das Umfeld und Erfahrungen beeinflussbar.
Du hast somit die Möglichkeit aktiv etwas bewirken zu können. Du musst nur wissen wie. Aber dazu kommen wir später.
Stressverarbeitung im Pferdehirn
Ein weiterer Aspekt der Neurowissenschaft betrifft die Stressverarbeitung im Pferdehirn.
Wenn ein Pferd plötzlich den Kopf hochreißt, die Nüstern bläht und mit aufgerichteten Ohren in die Ferne starrt, ist sein Alarmsystem aktiviert – Hormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet. Diese Stresshormone versetzen ein Pferd in erhöhte Wachsamkeit (und Bereitschaft zu Flucht, Kampf etc.). In diesem Modus tritt das Lernen in den Hintergrund. Man weiß aus Studien, dass starker Stress das Lernvermögen von Pferden beeinträchtigt. Situationen, die unkontrollierbaren Stress und hohe Cortisolwerte auslösen, können dazu führen, dass Pferde neue Aufgaben schlechter begreifen und länger dafür brauchen.
Stell dir vor, du sollst eine Matheaufgabe lösen, während du beim Autofahren einem Fußgänger ausweichen musst. 😱
Einfach gesagt: Ein gestresstes Gehirn ist mit Notfallprogrammen beschäftigt und hat keine Kapazität mehr, neue Informationen aufzunehmen.
Umgekehrt gibt es Hinweise, dass moderate Anstrengung oder Bewegung durchaus förderlich sein kann – weil sie überschüssige Energie in Bewegung kanalisiert und das Pferd anschließend entspannter und fokussierter macht.
Ähnlich wie du dich nach dem Sport oder einem Spaziergang (oder wie auch immer du deine Energie raus lässt) ausgeglichener fühlst. 🚶➡️Beim Menschen wissen wir, dass auf diese Weise nämlich der Cortisolwert sinkt. Wir sagen dazu oft, dass wir “Stress abbauen”.
Achte also auf das Stressniveau deines Pferdes. Mentales und emotionales Gleichgewicht ist die Grundlage dafür, dass dein Pferd überhaupt ruhig und aufmerksam bei dir bleiben kann. ⚖️
Das Stressniveau deines Pferdes wird maßgeblich davon beeinflusst, ob seine grundlegenden Bedürfnisse erfüllt werden. Achte daher darauf, ob du im Alltag die passenden Rahmenbedingungen schaffst, um sein mentales und emotionales Gleichgewicht zu unterstützen. Wenn du mehr zum Thema Bedürfnisse erfahren möchtest, lies hier.
Achtsamkeit und Pferdeverhalten: Wie deine Präsenz dein Pferd beeinflusst
Jetzt kommen wir zum wichtigen Bindeglied zwischen dir und deinem Pferd: der Achtsamkeit.
Stell dir vor, die Aufmerksamkeit deines Pferdes ist wie ein scheues Kätzchen 🐈: Du kannst es nicht her zwingen, aber du kannst es behutsam anlocken oder schlicht verdeutlichen, dass es zu dir kommen kann, sobald es sich sicher genug fühlt.
Was braucht es dafür? Eigene Aufmerksamkeit, Ruhe und Geduld! Wie erhältst du das? Durch Achtsamkeit. Du siehst: ein Kreislauf ♻️ 😀
Grund: ein achtsamer Mensch strahlt für eine Katze – oder eben ein Pferd (emotionale) Sicherheit aus. Dein Pferd nimmt wahr: bei dir kann es sich ein Stück weit fallenlassen, weil du aufpasst und seine Bedürfnisse wahrnimmst. Zudem passt sich dein Pferd oft an den Emotionen und Stimmungen seines Gegenübers – also an dir oder anderen Pferden – an.
Wenn du es schaffst, selbst mit deinen Gedanken ganz bei der Sache zu sein, wahrzunehmen was IST, keinen Erwartungsdruck aufzubauen sondern geduldig zu schauen was passiert, wird auch dein Pferd eher zur Ruhe kommen und sich auf dich einlassen. 🥱 Damit ist nicht gemeint, nichts zu tun. Sondern WIE du etwas tust.
Du weißt noch nicht, wie du bei dir Aufmerksamkeit, Ruhe und Geduld mittels Achtsamkeit in deinen (Pferde-)Alltag etablieren kannst? Dann lies hier weiter.
Achtsamkeitsübungen fürs Pferd: Fokus und Entspannung steigern durch Reize und Wiederholungen
Nachdem du nun weißt, wie die Aufmerksamkeit deines Pferdes funktioniert und welchen Einfluss dein eigenes Verhalten darauf hat, stellt sich die Frage: Wie kannst du über Training die Psyche des Pferdes beeinflussen, um seine Konzentration und Gelassenheit zu verbessern?
Hier kommen Mentaltraining bzw. Achtsamkeitsübungen für dein Pferd ins Spiel. Damit ist gezieltes “Einwirken” auf das Hirn deines Pferdes, also seine Aufmerksamkeitsspanne, sein Erinnerungsvermögen und seine emotionale Stabilität gemeint. Du kannst deinem Pferd behilflich sein zu lernen, trotz Außenreizen immer wieder den Fokus zu seinem Körper zurückzubringen und seine Gedanken zu kanalisieren → sich selbst zu regulieren. 🧘
Wie bei dir selbst kannst du den Körper zu Hilfe nehmen, um den Geist anzusprechen:
a) äußeren Reiz setzen:
- Wahrnehmung über die fünf Sinne (hören, riechen, tasten, schmecken, sehen)
Nutze einen Stimulus, der einen der fünf Sinne deines Pferdes anspricht.
b) inneren Reiz setzen:
- Wahrnehmung von Körperzuständen und Organen
- Wahrnehmung von Körperbewegung und -lage im Raum
- Wahrnehmung des Gleichgewichts
Lasse dein Pferd etwas ausführen, was seinen Körper anspricht und z.B. Koordination oder Balance erfordert oder steuere gezielt einen Muskel an.
❗Beachte:
- Du darfst gerne kreativ werden und einfach mal ausprobieren, worauf dein Pferd gut reagiert und wann du vermehrt seine Aufmerksamkeit erhältst.
- Dein Pferd nach seinem Fokus zu fragen und zu warten beinhaltet Geduld sowie die Reaktion des Pferdes nicht in richtig oder falsch zu werten! Dein Gedanke sollte sein “kannst du…?” und NICHT “mach das…!”.
- Setze einen gezielten Reiz, der für dein Pferd bedeutsam ist. Heißt: keine Dauerberieselung. Wenn du ununterbrochen schnalzt oder dauernd wedelst, stumpft dein Pferd ab. Besser ist es, einen bewussten Impuls zu setzen und dann die Reaktion des Pferdes abzuwarten.
- Ein Reiz kann sehr subtil sein – weniger ist oft mehr.
- Wenn ein Ohr oder Auge zu dir bzw. dem Reiz kommt → Reiz wegnehmen/ verringern.
- Wiederhole, bis dein Pferd Anzeichen von sich lösender Spannung zeigt.
So wirken sich Fokusübungen auf dein Pferd aus
Indem du lernst, die Wachsamkeit deines Pferdes bewusst zu lenken, hilfst du ihm, Körper und Geist in Einklang zu bringen. ☯️
So wie du selbst durch Atem- oder Achtsamkeitsübungen entspannst, erlebt dein Pferd dasselbe: Wenn seine Aufmerksamkeit gezielt geführt wird, verliert sich das Gefühl, ständig nach Gefahren scannen zu müssen – die Muskulatur löst sich, die Atmung vertieft sich, der Puls sinkt.
Durch diese Herangehensweise kannst du die Psyche deines Pferdes positiv beeinflussen. Stück für Stück wird dein Pferd zum einen lernen, sich selbst zu regulieren, und zum anderen, dass es sich lohnt, auf dich zu achten. Es erfährt, dass du aufmerksam bist und es siehst – das stärkt eure Bindung. 🔗
Ein Pferd, auf das mental eingegangen wird, zeigt oft erstaunliche Entwicklungen: es lernt immer schneller wieder “zu sich zurückzufinden”, ist mutiger, ausgeglichener und freundlicher.🙏
Fazit: vom „Instinkthirn“ zum „Denkhirn“
Dein Pferd ist biologisch auf Sicherheit und Wachsamkeit programmiert – kurze Aufmerksamkeitsspanne, dafür blitzschnelle Gefahrenerkennung. Dein Pferd meint es nicht persönlich, wenn es mal woanders hinschaut. Indem du verstehst, was in seinem Kopf vorgeht, kannst du solche Momente gelassener nehmen und als Gelegenheit nutzen, deine eigene Achtsamkeit, Ruhe und Geduld zu schulen. Hilf deinem Pferd, seine Gedanken “in seinen Körper” zu bringen und du wirst erleben, wie dein Pferd immer entspannter wird und sich eure Beziehung vertieft. Genieß dabei jeden kleinen Fortschritt – er macht eure Partnerschaft stärker und entspannt euch beide zugleich! 💞
Wenn du Unterstützung dabei möchtest, kontaktiere mich gerne hier. ☺️
Hinweis: Dieser Artikel bietet eine verkürzte Darstellung des Themas und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder absolute Richtigkeit.